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Mein Schreiben vom 22. Feber 1994 an alle Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes

Herren
Präsident Dr. Adamovich
Vizepräsident Dr. Piska
Dr. Fessler
Dr. Gottlich
Dr. Heller
Dr. Jann
Dr. Kienberger
Dr. Korinek
Dr. Machacek
Dr. Morscher
Dr. Oberndorfer
Dr. Roessler
Dr. Spielbüchler

p.A. Verfassungsgerichtshof
Judenplatz 11
1014 Wien

 

Betrifft: VfGH-Verfahren 1991 ff zu Anonymität/Bankgeheimnis und Steuerpflicht

 

Sehr geehrte Herren!

Zu den eingangs genannten Verfahren erlaube ich mir wegen verschiedener merkwürdiger Umstände diesen Brief an Sie.

Das erste Verfahren (B 264/91) betraf meine Erbschaftssteuer - ich hatte anonyme Sparbücher geerbt und diese ordnungsgemäß deklariert. Das nächste Verfahren (B 728/91) betraf die Einkommensteuer der Beschwerdeführerin M auf Spar- und Wertpapierzinsen. In den weiteren Fällen (B 1393/91; B 1819/92 [anhängig B 2103/93]) ging [bzw geht] es (unter anderem) um die Einkommensteuer auf meine ordnungsgemäß deklarierten Sparzinsen. 

Zentrales Argument für die Verfassungswidrigkeit dieser Steuerpflicht war jeweils die Untätigkeit des Gesetzgebers gegen das riesige Ausmaß an Steuerhinterziehung - wesentlich ermöglicht durch die vom selben Gesetzgeber zur Verfügung gestellte Anonymität bzw das vom selben Gesetzgeber normierte Bankgeheimnis gegenüber den Steuerbehörden - und die Folgen daraus für den dem demokratischen Gesetz verbundenen Bürger. 

Hinzu trat bei meiner ersten Beschwerde (Erbschaftssteuer 1989) das Argument der gleichheitswidrigen Bewertung geerbter Sparbücher (Kapitalwert) gegenüber geerbten Grundstücken (viel niedrigerer Einheitswert).

Und bei meiner dritten Beschwerde (Einkommensteuer 1990) unter anderem die Frage, ob eine vom Verfassungsgerichtshof mit Fristsetzung aufgehobene (ganz andere) Bestimmung des Einkommensteuergesetzes (§ 106 EStG) von MRK wegen vom Gesetzgeber rückwirkend hätte saniert werden müssen und, weil dies nicht geschehen ist, die nunmehrige Übergangsbestimmung nachträglich verfassungswidrig geworden ist und daher die Fristsetzung (Abs 2 der K BGBl 1991/458) vom Verfassungsgerichtshof aufzuheben gewesen wäre. 

 

I. Erbschaftssteuer 1989 - Brande
(VfGH B 264/91)

1. Die Behandlung meiner am 14.3.1991 erhobenen ersten Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof (in der Besetzung Adamovich, Ringhofer, Jann, Kienberger, Machacek, Morscher)* mit Beschluss vom 9.10.1991 (einstimmig) abgelehnt.

* Bemerkung bei Internetveröffentlichung 2006: Wie weiter unten zu ersehen (Dokument 6, FN 7; sowie Dokument 8, Teil I, Zitat Korinek vom 21.1.2002), liegen tatsächlich einstimmige Ablehnungsbeschlüsse aller 13 stimmberechtigten VfGH-Mitglieder vor.

Der Ablehnungsbeschluss war ohne nähere Ausführungen wie folgt begründet:

„Der Beschwerdeführer rügt die Verfassungswidrigkeit von Bestimmungen des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes. Das Beschwerdevorbringen, welches nicht darzutun vermag, dass in diesen - im vorliegenden Fall vom Verfassungsgerichtshof ausschließlich anzuwendenden - Vorschriften der Sitz der vom Beschwerdeführer behaupteten Verfassungswidrigkeit liegt, lässt angesichts der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Präjudizialität die behauptete Rechtsverletzung als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.“

2. Parallel zu meiner zu B 264/91 protokollierten Beschwerde vom 14.3.1991 war bald darauf, nämlich seit 2.7.1991, auch eine zweite einschlägige Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof anhängig, die zu B 728/91 protokolliert worden ist. Die Grundproblematik (Steuerhinterziehung und Anonymität/Bankgeheimnis) war die gleiche, unterschiedlich nur, dass es nicht um die Erbschaftssteuer, sondern um die Einkommensteuer ging. 

3. Während jedoch der Verfassungsgerichtshof die Behandlung meiner Beschwerde B 264/91 bereits am 9.10.1991 aus dem erwähnten Präjudizialitätsgrund abgelehnt hat, hat er über die parallele Beschwerde B 728/91 sieben Wochen später, am 30.11.1991, mit (abweisendem) Erkenntnis entschieden (und zwar in der Besetzung Adamovich, Ringhofer, Fessler, Gottlich, Heller, Jann, Kienberger, Korinek, Machacek, Morscher, Oberndorfer, Piska, Roessler, Spielbüchler) *.

* Bemerkung bei Internetveröffentlichung 2006: Siehe die Bemerkung oben I.1.

4. Im Gegensatz zur Begründung der Ablehnung meiner Beschwerde hat aber der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis B 728/91 vom 30.11.1991, Seite 4 Mitte, bezüglich der parallelen Beschwerde die Präjudizialität nicht nur ausdrücklich bejaht, sondern ihr Vorliegen sogar unter Hinweis auf ein einschlägiges Vorerkenntnis begründet. Wörtlich spricht er vom „System der durch das Bankgeheimnis erschwerten einkommensteuerlichen Erfassbarkeit von Einkünften aus Kapitalvermögen“, welches auch „im damaligen Fall“ [VfSlg 10.827/1986! = B 371/85 vom 14.3.1986] präjudiziell gewesen sei, und zwar sei damals die steuerliche Behandlung von Einkünften aus Kapitalvermögen im Rahmen eines Einkommensteuerbescheides angefochten gewesen. 

5. Dementsprechend hätte eigentlich sieben Wochen vor diesem Erkenntnis auch das „System der durch Bankgeheimnis und Anonymität erschwerten erbschaftssteuerlichen Erfassbarkeit von geerbtem Kapitalvermögen“ präjudiziell sein müssen, hatte ich doch die steuerliche Behandlung geerbten Kapitalvermögens im Rahmen eines Erbschaftssteuerbescheides angefochten. Zumal es sich ja bei dem vom Verfassungsgerichtshof ausdrücklich zur Begründung herangezogenen Erkenntnis um ein einschlägiges Vorerkenntnishandelte (statt der nunmehrigen KESt betraf es deren Vorläufer, die ZESt). Wozu noch kommt, dass von den sechs Verfassungsrichtern, die am 9.10.1991 die Behandlung meiner Beschwerde einstimmig abgelehnt haben, vier Verfassungsrichter (Adamovich, Ringhofer, Jann, Machacek) an diesem Vorerkenntnis aus dem Jahr 1986 mitgewirkt hatten. 

6. Darüber hinaus ist bei der Ablehnung meiner Beschwerde mein Argument der gleichheitswidrigen Bewertung (Kapitalwert bei geerbten Sparbüchern - Einheitswert bei geerbten Grundstücken) allem Anschein nach überhaupt außer Acht geblieben. Dies, obwohl sogar die Universitätsprofessoren Doralt und Ruppe diesbezügliche - von mir auch zitierte - Bedenken geäußert hatten.** Ohne dieses - allem Anschein nach - völlige Außerachtbleiben wäre meine Beschwerde vermutlich nicht - wie aber geschehen - aus einem den Sitz der Verfassungswidrigkeit bzw die Präjudizialität betreffenden Grund abgelehnt worden: 

** Bemerkungen bei Internetveröffentlichung 2006: Wörtlich hatte ich in meiner Beschwerde ausgeführt: „Schließlich ist der Gleichheitssatz auch noch dadurch verletzt, dass die Erbschaftssteuer etwa für ererbten Grundbesitz zufolge § 1 BewertungsG (auch unter Berücksichtigung von § 19 Abs 3 ErbStG) nach dem - viel niedrigeren - Einheitswert festzusetzen ist, ohne dass diese Begünstigung durch eine erbschaftssteuerbezogene Verwertungsbeschränkung kompensiert wäre. Der Erbe kann also das Grundstück, abgesehen von der nicht erbschaftssteuerbezogenen Spekulationssteuer, frei verkaufen. Damit steht er so, als hätte er Spareinlagen geerbt, für die er allerdings viel weniger Erbschaftssteuer zu bezahlen hatte. Auch nach Doralt/Ruppe, Grundriss des österreichischen Steuerrechts II, 2. Aufl, 1988, 29 sind überzeugende sachliche Gründe für diese Differenzierungen nicht zu finden.“ (Letzter Halbsatz im Original nicht hervorgehoben.) – 
In der dritten Auflage 1996, 29, dieses Buches schreiben Doralt/Ruppe im Anschluss an ein Beispiel: „Diese Verzerrungen widersprechen dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und sind sachlich nicht zu rechtfertigen. Nach der jüngsten Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts (Beschlüsse 22.6.1995, BStBl II 1995, 655, 671) sind - bei vergleichbarer Rechts- und Sachlage - die Bewertungsunterschiede mit dem deutschen Grundgesetz nicht vereinbar.“ Und die damalige Präsidentin des deutschen Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, sagte hiezu in der Presse vom 13.6.1997, Seite 10 Spalte 6: „Dass diese Bewertung gleichheitswidrig war, wenn man Grundstücke und Mobilien betrachtete, das pfiffen die Spatzen von den Dächern.“ (Letzter Halbsatz im Original nicht hervorgehoben.) – 
Beachte nunmehr auch den Unterbrechungsbeschluss VfGH B 3391/05-10 vom 15. März 2006, der über den – das Jahr 1989 betreffenden – Ablehnungsbeschluss vom 9.10.1991 in Bezug auf das Einheitswertproblem ein vernichtendes Urteil zu sprechen scheint. 

Bei der von mir (unter IV.A.3.2.) vorgebrachten erbschaftssteuerlichen Ungleichbehandlung von Kapital und Grundstücken ist nämlich die Präjudizialität wohl unzweifelhaft, da sonst eine Ungleichbehandlung nie geltend gemacht werden könnte. Eine Gleichheitswidrigkeit sitzt an sich in (zumindest) zwei Vorschriften, von welchen aber ausschließlich eine Vorschrift angewendet worden sein kann. In der angewendeten Vorschrift allein kann eine Gleichheitswidrigkeit nicht sitzen. Aus der Sicht des Gleichheitssatzes müssen deshalb sowohl die angewendete (ungünstigere) als auch eine nicht angewendete (günstigere) Vorschrift präjudiziell sein. 

Nun halte ich es für sicher, dass diese Überlegung für den Verfassungsgerichtshof seit langem selbstverständlich ist. Ich kann mir daher - außer durch das oben erwähnte völlige Außerachtbleiben - nicht erklären, wie es bezüglich der erbschaftssteuerlichen (Ungleich-)Behandlung von Kapital (= angewendete ungünstigere Vorschrift) und Grundstücken (= nicht angewendete günstigere Vorschrift) zur Ablehnung meiner Beschwerde aus dem Grund des (offensichtlich evidenten) Sitzes der Verfassungswidrigkeit bzw der (offensichtlich evidenten) Präjudizialität kommen konnte. Zumal der Verfassungsgerichtshof die Behandlung jener Beschwerden, deren Vorbringen den Sitz der Verfassungswidrigkeit nicht eigens dartut, meines Wissens nach nicht von vornherein aus diesem Grund ablehnt (vgl auch unten 7.b). 

7. Daraus ergeben sich folgende Fragen:

a) Warum hat der Verfassungsgerichtshof nicht beide Beschwerden,die ja sogar drei Monate lang nebeneinander anhängig waren, gemeinsam behandelt, sondern die Behandlung meiner Beschwerde vorher abgelehnt? 

b) Warum wurde die Behandlung der parallelen Beschwerde nicht auch abgelehnt? Auch die parallele Beschwerde hatte nämlich keine Ausführungen zum Sitz der Verfassungswidrigkeit bzw zur Präjudizialität enthalten, und die übrigen von der parallelen Beschwerde vorgebrachten Bedenken wurden mit der - ablehnungsgeeigneten - Begründung nicht geteilt, die betreffenden Regelungen dienten dem keineswegs unsachlichen Ziel, wirtschaftliche Doppelbelastungen zu entschärfen. 

c) Warum wurde in meinem Fall die Präjudizialität verneint*, aber nur sieben Wochen später im parallelen Fall unter Hinweis auf ein einschlägiges Vorerkenntnis bejaht, an welchem seinerzeit sogar vier der sechs dem Ablehnungssenat angehörenden Mitglieder mitgewirkt hatten?

* Bemerkung bei Internetveröffentlichung 2006: Obwohl sie 5 Tage zuvor im Parallelfall bejaht worden ist, siehe Dokument 6 FN 4. 

 d) Sind bei der Ablehnung meiner Beschwerde die Bedenken der gleichheitswidrigen Bewertung inhaltlich außer Acht geblieben?Wenn ja, warum? Wenn nein, in welcher Formulierung des Ablehnungsbeschlusses sind sie angesprochen? 

e) Warum wurde der Ablehnungsbeschluss nicht durch Zitierungvon Vorentscheidungen, sondern lediglich mit der (nicht nachvollziehbaren) „ständigen Rechtsprechung“ begründet? Und welche Erkenntnisse bzw Beschlüsse bildeten diese „ständige Rechtsprechung“?

 

II. Einkommensteuer 1989 - Beschwerdeführerin M
(VfGH B 728/91)
(Zu B 264/91 parallele Beschwerde)

Die Frage nach dem Warum meiner Ablehnung gegenüber der sieben Wochen später erfolgten Bejahung der Präjudizialität habe ich bereits gestellt.

f) Warum wurden aber dann, als die Präjudizialität bejaht war, die Argumente meiner abgelehnten Beschwerde nicht im Erkenntnis über die parallele Beschwerde mitbehandelt? Etwa das Argument, dass dem Gesetzgeber andere geeignete Regelungen zumutbar waren, welche die krasse Benachteiligung der ehrlichen Steuerzahler (wesentlich ermöglicht insbesondere durch die gesetzlich vorgesehene Anonymität der Spareinlagen) vermieden hätten, wie die Endbesteuerung.

g) Warum wurde in diesem Erkenntnis auch das damals bereits ergangene, die Verfassungswidrigkeit bejahende, eingehende Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts nicht mitbehandelt?Wo doch die Verfassungsordnung der BRD wie die Österreichs auf die MRK bezogen ist. Und abgesehen davon zu erwarten gewesen wäre, dass der Verfassungsgerichtshof möglichst viele Argumente würdigt.

h) Warum wurde schließlich die (durch immense Steuerhinterziehungen) faktische Endbesteuerung nicht gegen die Möglichkeit der rechtlichen Endbesteuerung abgewogen? Obwohl diese Abwägung nicht nur überhaupt nahe lag, sondern auch von der dem Erkenntnis zugrunde liegenden (parallelen) Beschwerde angesprochen war?

Jener rechtlichen Endbesteuerung, die der Verfassungsgerichtshof durch Aufhebung einiger Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes auch selbst hätte herbeiführen können, und die ebenfalls der Vermeidung der Kapitalflucht und der Wahrung des Datenschutzes Rechnung getragen hätte; jenen beiden Kriterien, die im Erkenntnis über die parallele Beschwerde zur Begründung der Sachlichkeit der faktischen (!!) Endbesteuerung angeführt sind.

(Gegen das Unterbleiben der erwähnten Abwägung ließe sich zwar einwenden, es obliege dem Verfassungsgerichtshof, welche Argumente er für relevant hält. Doch sollte es dann nicht verwundern, dass, wenn nahe liegende Argumente nicht angesprochen werden, das Vertrauenin die sachliche Wahrnehmung der Aufgaben des Verfassungsgerichtshofes verloren geht.

Wenn im übrigen der Verfassungsgerichtshof in der Folge - statt dieser Abwägung - noch auf das „letztlich [??] beachtliche Risiko der Einleitung eines Finanzstrafverfahrens“ abgestellt hat (welches Einleitungsrisiko bekanntlich weitestgehend unbeachtlich war) und darüber hinaus - hier, anders als bei meiner dritten Beschwerde, vielleicht noch unbemerkt - namentlich bekannte Beamte mit anonymitätsgeschützten Steuerhinterziehern gleichgesetzt hat [und solcherart auch das relativ große Risiko von Beamten, bei Unregelmäßigkeiten bestraft zu werden, mit dem Minimalrisiko anonymitätsgeschützter Steuerhinterzieher], sollte der angesprochene Verlust des Vertrauens umso weniger verwundern.)

 

III. Einkommensteuer 1989 - Brande
(VfGH B 1393/91)

A. Die Behandlung meiner am 9.12.1991 erhobenen zweiten Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof (in der[selben] Besetzung Adamovich, Ringhofer, Jann, Kienberger, Machacek, Morscher)* mit Beschluss vom 22.6.1992 (einstimmig) abgelehnt.

* Bemerkung bei Internetveröffentlichung 2006: Siehe die Bemerkung oben I.1.

Dies mit folgender Begründung:

„Die Beschwerde behauptet die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur hier maßgeblichen Frage (B 728/91 vom 30.11.1991) lässt ihr Vorbringen die behaupteten Rechtsverletzungen, aber auch die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.“

B. Nun hatte ich auch bei dieser Beschwerde (als Alternative zur faktischen Endbesteuerung durch Steuerhinterziehung) vorgebracht,dass die (rechtliche) Endbesteuerung eine geeignete und dem Gesetzgeber zumutbare Regelung zur Vermeidung der krassen Benachteiligung der ehrlichen Steuerzahler darstellt. Faktische und rechtliche Endbesteuerung sind aber im Erkenntnis B 728/91 vom 30.11.1991 wie erwähnt nicht gegeneinander abgewogen. Und die anderen von mir vorgebrachten Argumente (etwa betreffend die Verletzung des demokratischen Prinzips und des Eigentumsrechtes) sind im erwähnten Erkenntnis ebenfalls nicht beantwortet. Damit hätte aber meine Beschwerde gar nicht mit dem Hinweis auf dieses Erkenntnis abgelehnt werden dürfen.

Es erhebt sich daher die Frage

i) Warum wurde die Behandlung meiner Beschwerde mit dem Hinweisauf das Erkenntnis B 728/91 abgelehnt?

 

IV. Einkommensteuer 1990 - Brande
(VfGH B 1819/92)

A. Die Behandlung meiner am 23.11.1992 erhobenen und am 22.2.1993 ergänzten dritten Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof (in der[selben] Besetzung Adamovich, Ringhofer, Jann, Kienberger, Machacek, Morscher)* mit Beschluss vom 23.3.1993 (einstimmig) abgelehnt.

* Bemerkung bei Internetveröffentlichung 2006: Siehe die Bemerkung oben I.1.

Dies mit folgender Begründung: 

„Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes, insbesondere von Bestimmungen des EStG 1988. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber verfassungsrechtliche Fragen berührt, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zur Vorschreibung von Einkommensteuer auf Sparzinsen gemäß § 27 Abs. 1 Z 4 EStG 1988 vgl. VfGH 30.11.1991 B 728/91) sowie in Anbetracht dessen, dass Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes (und somit auch eine Fristsetzung) endgültig sind, die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.“

B. Nun hatte ich auch bei dieser Beschwerde wieder die bereits oben III.B. erwähnten Argumente vorgebracht, sodass der Hinweis auf das Erkenntnis B 728/91 wieder keine Antwort auf meine Argumentedarstellt. Es fragt sich daher

j) Warum wurde die Behandlung meiner Beschwerde neuerlich mit dem Hinweis auf das Erkenntnis B 728/91 abgelehnt?

C. Weiters hatte ich mich jetzt mit dem Erkenntnis B 728/91 auch eingehend auseinandergesetzt.

Demgemäß hatte ich nun (vgl oben II.) in meiner Beschwerde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass 

1. auch die (rechtliche) Endbesteuerung den Zielen Vermeidung der Kapitalflucht und Wahrung des Datenschutzes Rechnung getragen hätte; dass 

2. bezüglich der Einleitung eines Finanzstrafverfahrens richtigerweise von einem weitestgehend unbeachtlichen Risiko hätte gesprochen werden müssen; und dass 

3. namentlich bekannte Beamte nicht mit anonymitätsgeschützten Steuerhinterziehern gleichgesetzt hätten werden dürfen. 

Weiters hatte ich beantragt, dass der Verfassungsgerichtshof

4. den Inhalt meiner Beschwerde im Erkenntnis bzw Ablehnungsbeschluss vollständig wiedergibt (allenfalls durch Anheften der Beschwerde); mein Recht auf ein rechtsstaatliches bzw faires Verfahren umfasse auch, dass ein Grenzorgan (also auch der Verfassungsgerichtshofder - präventiv wirkenden - wissenschaftlichen Kontrolle seiner Entscheidungen (die üblicherweise mittels Entscheidungsbesprechungen erfolgt) nicht entzogen ist; welche Kontrolle eine allfällige Kritik der demokratischen Öffentlichkeit erst ermögliche; welche Kontrolle aber nur bei Kenntnis des gesamten Beschwerdeinhalts möglich sei, 

5. bei einer allfälligen Verweisung auf die ständige Rechtsprechung die Fundstellen der betreffenden Vorentscheidungen zitiert,

6. meine Beschwerde im Plenum würdigt, da es an einer nach außen erkennbaren festen Geschäftsverteilung für die kleinen Senate mangle,*

Bemerkung bei Internetveröffentlichung 2006: Beachte die Bemerkung oben I.1.

7. vor einer Ablehnung die Zulässigkeit dieser Ablehnung im Hinblick auf die meiner Ansicht nach divergente Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes klärt; derzeit begründe nämlich der Verfassungsgerichtshof die Ablehnung der Behandlung einer Beschwerde mit dem (zusätzlichen) Hinweis, die Sache [Angelegenheit] sei nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen (Art 144 Abs 2 [iVm Art 133] B‑VG); wohingegen im Abtretungsfall der Verwaltungsgerichtshof jene zuvor vom Verfassungsgerichtshof abgelehnten Beschwerden, die (gemäß § 34 Abs 2 VwGG ergänzt) bloß auf die einfachgesetzliche Rechtswidrigkeit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes umstellen und nicht auch noch einen der Behörde unterlaufenen rein einfachgesetzlichen Fehler behaupten, wegen Unzuständigkeit zurückweise (Art 133 Z 1 B‑VG - „Ausgeschlossen von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes sind: 1. die Angelegenheiten, die zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gehören“). Zur Klärung dieser Frage hatte ich auch eingehende Rechtsausführungenvorgelegt. Darüber hinaus hatte ich dargelegt, dass eine Entscheidung, bei der nicht alle dem Gericht bekannten Lösungen insgesamt gewürdigt werden, eine [denknotwendig] willkürliche Entscheidung sei. 

D. Mit Ausnahme der unter 5. angesprochenen Zitierung der ständigen (?) Rechtsprechung wurde auf keinen dieser sieben Punkte eingegangen, ja sie wurden im Ablehnungsbeschluss nicht einmal erwähnt. Damit hat der Verfassungsgerichtshof - implizit - auch verneint, dass ein Recht auf vollständige Wiedergabe des Beschwerdeinhalts besteht (4.), und vermutlich auch, dass ein Recht auf eine nach außen erkennbare feste Geschäftsverteilung für die kleinen Senate des Verfassungsgerichtshofes besteht (6.) [welches Recht ein Teil des Rechtes auf ein rechtsstaatliches bzw faires Verfahren sein könnte]. Auch wurde die Frage der Judikaturdivergenz (7.) nicht angesprochen.

Durch die Nichterwähnung der Punkte 4. bis 7. hat der Verfassungsgerichtshof auch die angesprochenen - weit über den konkreten Fall hinaus für die Rechtspflege bedeutsamen - Themensowie seine Ansichten hiezu der daran sicherlich brennend interessierten Öffentlichkeit verschwiegen.

Es erheben sich folgende Fragen:

k) Warum wurden meine oben 1. bis 3. genannten Argumente zur Unrichtigkeit des Erkenntnisses B 728/91 im Ablehnungsbeschluss überhaupt nicht angesprochen?

l) Warum wurden die Rechtsfragen 4., 6. und 7. überhaupt sowie meine diesbezüglichen Ausführungen im Ablehnungsbeschluss völlig unerwähnt gelassen?

E. Darüber hinaus hatte ich im Zusammenhang mit dem mir von der Berufungsbehörde nicht zuerkannten Alleinerhalterabsetzbetrag und der Kinderzuschläge hiezu unter anderem argumentiert, dass der vom Verfassungsgerichtshof mit Fristsetzung aufgehobene § 106 EStG von MRK wegen vom Gesetzgeber rückwirkend hätte saniert werden müssen und, weil dies nicht geschehen ist, die nunmehrige Übergangsbestimmung nachträglich verfassungswidrig gewordenist und daher die Fristsetzung (Abs 2 der K BGBl 1991/458) vom Verfassungsgerichtshof aufzuheben gewesen wäre (Beschwerde S. 26 iVm S. 28 unten).

Es erhebt sich daher die Frage

m) Warum wurde dieses Argument im Ablehnungsbeschluss nicht angesprochen? Die im Ablehnungsbeschluss enthaltene Aussage, dass Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes, und somit auch eine Fristsetzung, endgültig seien, ist ja wohl evidentermaßen keine Antwort auf ein Verfassungswidrigwerden nach Ablauf der Frist.

F. Schließlich stellt sich die Frage

n) wieso die von mir geltend gemachten Rechtsverletzungen nach meinen Beschwerdebehauptungen zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes sein sollen, insbesondere von Bestimmungen des EStG 1988? Sowohl bei der Besteuerung der Sparzinsen als auch bei der Nichtzuerkennung des Alleinerhalterabsetzbetrages und der Kinderzuschläge handelte die Berufungsbehörde nach der einfachgesetzlichen Rechtslage offensichtlich korrekt. Die erwähnte Globalaussage des Ablehnungsbeschlusses ist aber auch schon deshalb bedenklich, weil der Berufungsbehörde - und damit den für sie handelnden Menschen - ohne irgendeinen näheren Hinweis eine Rechtsverletzung vorgeworfen wird.

 

V. Schlussbemerkungen

Soweit die Darlegung der merkwürdigen Umstände. Es hat den Anschein, als wären diese Umstände als zahlreiche und schwere rechtsstaatliche Mängel in der Entscheidungsfindung des Verfassungsgerichtshofes zu qualifizieren. 

Schon im Jahr 1988 hatte ich in einer Erkenntnisbesprechung (ÖZW 1988, 55 [61]) bemerkt, dass die Art und Weise, wie der Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung einer bestimmten Rechtsfrage gelangte (nämlich ohne Erwähnung von und dementsprechend auch ohne kritische Auseinandersetzung mit abweichender eigener und abweichender VwGH-Judikatur), geeignet ist, das Vertrauen in die sachliche Wahrnehmung seiner Aufgaben insgesamt in Frage zu stellen.

Es hat den Anschein, als würde diese Bemerkung auch auf jedes der gegenständlichen vier Verfahren zutreffen. Sodass, wegen der - anscheinend - zahlreichen und schweren rechtsstaatlichen Mängel in der Entscheidungsfindung, es überhaupt nicht mehr gerechtfertigt erscheint, in die sachliche Wahrnehmung der Aufgaben des Verfassungsgerichtshofes - bzw der für die gegenständlichen Mängel verantwortlichen Mitglieder - irgendein Vertrauen zu setzen.

Damit scheint auch die Rechtmäßigkeit jeder in den letzten Jahren vom Verfassungsgerichtshof gefällten Entscheidung in Frage gestellt. Niemand weiß, in welchen und in wie vielen Fällen es zu ähnlich schweren Mängeln gekommen ist. Bei der - anscheinend - vorliegenden Häufigkeit und Schwere dieser Mängel ist aber die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein erheblicher Prozentsatz der Entscheidungen der letzten Jahre betroffen ist. 

Betroffen sein kann, wie gesagt, jede Entscheidung. Die betroffene Entscheidung war in keinem Fall rechtmäßig; in inhaltlicher Hinsicht kann sie daher allenfalls zufällig richtig sein.

Dies alles - wie gesagt - dem Anschein nach. Ich darf Sie daher ersuchen, Stellung zu nehmen.

Fred Brande